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Abenteuerurlaub

Schwedenreise 2012, wir immer einhand im Folkeboot- Fortsetzung

 

Ingmar

5. Juli: Varberg - Fjordholmen, schwach umlaufend, Sonne

Varberg ist das schwedische Pendant zu Grenå: man will da nicht unbedingt hin, landet aber immer wieder dort und hat in jede Richtung einen guten Ausgangspunkt. Außerdem gibt es allerbeste Versorgungsmöglichkeiten, und ich brauche nach dem ganzen Motorbootfahren erstmal Benzin.

Danach gibt es viel schlagende Segel bei wenig Wind und alter Welle nebst Dampferschwell. Kann man nicht viel tun außer Schulterzucken. Der mäßige Ostwind flaut ab, als die Thermik einsetzt, nachmittags summiert sich das zu einem unsteten Nord. Nach drei Stunden motoren erreiche ich Fjordholmen, einen der südlichsten Felsen, an denen man sich festbinden kann und wunderbar geschützt liegt.

Das Schärenbegrüßungskommittee heißt Ingmar. Er ist Deutscher, worauf er großen Wert zu legen scheint, wohnt aber seit dem Krieg in Schweden, und muss Anfang siebzig sein. So sieht er gar nicht aus, segeln hält jung und Erfahrung ersetzt zur Not die verlorene Schnelligkeit. Über die Felsen tobt man in dem Alter nicht mehr so flink wie mit zwanzig, aber was macht das, Ingmar hat sie alle schon gesehen und kann sich beim Klettern zum Aussichtspunkt Zeit lassen. Er freut sich riesig über Gesellschaft. Ich kann nicht gerade behaupten, dass ich sämtliche seiner Ansichten teile, aber wie unsere Schiffe hier so nebeneinander liegen und er mich ausführlich und enthusiastisch über mögliche Reiseziele berät, verbindet uns das Segeln dann doch über biographische und altersbedingte Grenzen hinweg, und es wird ein gemütlicher Abend. Ein weiterer Pluspunkt am Segeln, speziell in kleinen Häfen und Buchten: man freundet sich mit Menchen an, die mit denen man an Land nie und nimmer in Kontakt gekommen wäre. Und irgendwas gibt einem das immer. Ich verspreche, Ingmar ein Foto zu schicken.

 

Melancholie

6. Juli: Fjordholmen - Utkäften, Ost 5, bedeckt, nachmittags Regen

Der morgendliche Wetterbericht klingt entmutigend, und Ingmar („ach ja, hm, dann bleib ich hier“ ist auch keine Motivationshilfe. Ich überlege: hierbleiben? Vrångö und per Fähre nach Göteborg? Weiter nach Norden? Reffen? Ich rappele mich endlich auf, entscheide mich für ungerefft nordwärts. Die ersten Meilen sind sportlich, ungeschütztes Fahrwasser und richtig hoch am Wind in voller Schräglage, pffffffff rauscht Paula durchs Wasser, dafür geht es dann mit halbem Wind und mächtig speed durch die Tiefwasserwege nach Göteborg mit ihrer gigantischen, respekteinflößenden Betonnung. „Schärensegeln“ ist das Größte für mich: den nächsten Wegpunkt, die nächste Überraschung, das nächste Ziel erreicht man nicht etwa nach stundenlangem Glotzen auf den Kompass, sondern nach ein paar Minuten. Ein neuer Felsen, Kursänderung, Tonne suchen, Seekarte auf dem Schoß und voll konzentriert. Ich liebe es! Nach Norden hin kommt das noch besser, wenn die Innenfahrwasser enger und verwinkelter  werden, die Felseninseln Schlag auf Schlag aufeinander folgen, man zwischen Düsen, Abdeckung, Strömung immer einen Schritt voraus denken muss, aber schon heute ist es so kurzweilig wie ein wirklich spannender Film. Überhaupt kann man Segeln mit Kino vergleichen: es gibt diese ganz langsamen Filme mit wenig Handlung und eindringlichen Schwenks über die Landschaft (mit vier Knoten quer übers Kattegat, eine Geduldsprobe). Es gibt diese Aktionsfilme mit ihren schnellen Schnitten, deren Handlung, wenn man es genau bedenkt, auch nicht viel hergibt (hackige Welle gegenan, Gischt ins Gesicht, ruppige Böen, das ist zwar (An-)Spannung pur, aber im Endeffekt passiert ziemlich wenig. Und jetzt haben wir einen Film voll kurzer Sequenzen, kleiner Anekdoten, die in ständigem Wechsel einander ablösen, und doch folgt alles einem roten Faden, nämlich der mäandrierenden Kurslinie auf der Karte, und führt auf ein Ziel zu. Als ich wieder ein Stück offenes Wasser erreiche, hat der Wind deutlich abgenommen, und als ich meinen Ankerplatz erreiche, setzt der angekündigte Regen ein.

Ich verwende die bewährte Methode, um allein an den Felsen zu kommen: erstmal frei ankern, dann mit dem Schlauchboot eine Landleine herstellen, den Anker auf die Heckklampe umlegen und langsam zu den Steinen ziehen. Ist umständlich, aber sicher und funktioniert immer. Es regnet durchgängig bis abends. Ich verbringe den Nachmittag mit einem guten Buch in meiner Koje, stecke ab und an die Nase durchs Schott und betrachte die ansteckende melancholische Stimmung. Grauer Fels unter grauen Wolken, man erkennt selbst die anderen Boote in der großen Bucht nur schemenhaft, das ist natürlich nicht, was man sich für eine Schwedenreise im Juli wünscht, aber es hat seinen Reiz, keine Frage. Der Regisseuer muss sich dennoch Fragen gefallenlassen, nach den spektakulären Szenen und schnellen Cuts zu Beginn des Films ist es ungewohnt, dass statt des großen Showdowns diese getragene Melancholie kommt. Macht nix, dann ist heute mal die Lektüre spannender als die Landschaft.

Leider keine Kirschen

7. Juli: Utkäften - Smögholmarna, Südwest um 4, bedeckt, gelegentlich leichter Regen

Schärensegeln. Ist das Größte und Beste und Tollste. Hab ich ja schon gesagt. Kyrkesund ist ein Highlight, eine winzige Rinne, der gemütliche Ort dazu verteilt sich über beide Ufer, achterlicher Wind und mitlaufender Strom spülen uns, Abdeckung und Winddrehungen trotzend, zügig durch. Ich bin überglücklich: dafür allein hat sich die lange Anreise gelohnt.

Smögholmarna ist eine ausgezeichnete Ankerbucht an der Südseite von Lyr: tausend geschützte Anlegestellen. Ich lande in einem Winkel, der so eng ist, dass man statt des Heckankers eine Achterleine zum gegenüberliegenden Ufer benutzt. Nachmittags ist es trüb, aber trocken. Ich sitze auf einem Felsen, der so hoch ist, dass er leicht die Masten überragt, und so steil, dass ich Vorbeifahrenden aufs Deck spucken könnte. Schade, leider keine Kirschen dabei, sonst könnte das lustig werden. Von dort oben habe ich einen guten Überblick über die Aktivitäten der schwedischen Segler, zwischen deren Schiffen Paula eingekeilt liegt. Nach dem Anlegen wird unvermeidlich als erstes der Grill aufgebaut. Dann wird die Angel ausgepackt, und die Kinder und Jugendlichen machen das Schlauchboot klar und reißen den Außenborder auf. Die ganzen Achterleinen verbauen ihnen ein bisschen den Weg, darüber kommen wir ins Gespräch, und es stellt sich heraus, dass auch die Schweden ihr Bild vom typischen Deutschen haben: er trägt Sandalen und Socken und spricht schlechtes Englisch mit entsetzlichem Akzent. Ich würde hinzufügen, dass er in seiner Prinzipientreue selbst noch in der hintersten Ecke einer gut gefüllten Bucht niemals auf Ankerball und Ankerlaterne verzichten würde. Wir haben unseren Spaß...

 

Roter Granit

8. Juli: Smögholmarna - Vasholmen, heiter bis wolkig und endlich mal wieder richtig warm

Es sind nur zwölf Meilen, aber jede einzelne ist ein Genuss. Nördlich von Gullholmen beftrete ich persönliches Neuland, letztes Jahr bin ich hier umgekehrt, jetzt geht die Reise eigentlich erst los. Vasholmen ist das südlichste Vorkommen des roten Granits, der so schön in der Sonne leuchtet und vom Gletscheis so wunderbar abgerundet wurde. Auf dem Weg dorthin sehe ich zwei Folkeboote, Paula und ich werden mehrfach fotografiert, Leute winken begeistert. „Paula, Paula, ich glaub, die Leute mögen uns“ sage ich. Es wird sich noch öfter zeigen, dass wir hier ein bisschen die Sensation sind: allein in so einer hübschen, kleinen Holzkiste, so weit weg von zuhause, pures Segeln statt Luxusyacht und elektronischer Seekarte, das macht wohl Eindruck und weckt Sehnsüchte, schließlich sind die meisten mal eine Nummer kleiner angefangen und erinnern sich, als sie uns sehen, an den unübertrefflichen Spaß, den sie damals hatten.

Als ich auf Vasholmen zufahre, bin ich von der schroffen Schönheit der Landschaft zutiefst beeindruckt, komme aus dem Staunen kaum raus, kann mein Glück nicht fassen, dass ich hier bin und das alles mit eigenen Augen sehen darf. Vasholmen ist wunderschön und sehr geschützt, demzufolge überaus beliebt und schon am frühen Nachmittag einigermaßen voll. Ich muss den aktuellen Südwest und den für morgens zu erwartenden Ostwind im Kopf haben und auch noch den einen oder anderen Unterwasserfelsen beachten. Obwohl ich mutig auf freies Ankern und Schlauchbootmanöver verzichte, nehme ich vier Anläufe, bis ich mit meinem Platz zufrieden bin. Schweden ist komisch: im Hafen (also im richtigen Hafen, der hier Gästehafen heißt) braucht man in der Regel den Anker. Im Naturhafen (bisher habe ich das Ankerbucht genannt) braucht man ihn nicht unbedingt. Am Ende liege ich längsseits an einem dieser runden, steil ins Wasser abfallenden Felsen, mit dem Schlauchboot als Fender.

Was soll man sonst noch sagen? Um mich herum wird gegrillt und geangelt und Schlauchboot gefahren, bei mir gibt es Pfannkuchen.

 

 

 

Fortsetzung