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Wenn der Ersatzkanister durch die Plicht schießt, ist eindeutig zuviel Wind!

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  • Familie in Kajaks

Schärensegeln

 

Begeisterung ist gar kein Ausdruck: Es ist trocken, zeitweise sonnig, Paula rennt voller Enthusiasmus durchs Wasser, die Strecke ist gespickt mit Tonnen, Kursänderungen, Fährstrecken, Engstellen, atemberaubender landschaftlicher Schönheit und allem, was das Seglerherz sonst noch begehrt. Und das alles gibt's fast ohne Kreuzschläge. Das Göteborg-Fahrwasser mit seiner respekteinfößenden Betonnung ist ein Klacks, gute Sicht, satte sechs Knoten, halber Wind mit ordentlich Lage und Spritzwasser im Gesicht. Am frühen Abend in Söholmen runde ich das Erlebte mit dem ersten gelungenen Schärenankermanöver ab. Bis mir jemand etwas besseres zeigt, würde ich das so jedem Einhandsegler empfehlen: erstmal frei vor Anker legen, dann an Land rudern mit einer ausreichenden Länge Tauwerk in der Hand (ich knote alles zusammen, was rumliegt), Hammer und Schärenhaken nicht vergessen. Unter Paulas kritischem Blick zimmere ich den Haken in eine geeignete Spalte und hangle mich an der neuen Landleine zurück. Dann lege ich den Anker um auf die Heckklampe und ziehe mich in aller Gemütsruhe so dicht an den Felsen, dass ich aussteigen und vernünftige Vorleinen legen kann. Fertig. Diesmal gibt's den Schauer gleich nach der Ankunft, das hat den Vorteil, dass ich zuerst kochen und nach dem Aufklaren noch meinen Landgang machen kann.

Was macht man, wenn man sich unbedingt Marstrand ansehen will und Proviant kaufen muss, aber auf einen lauten, hektischen, überfüllten Hafen absolut keinen Nerv hat? Genau. Man findet einen Ankerplatz in fußläufiger Entfernung. Ich habe nicht vor, über Nacht zu bleiben. Der schwedische Ankerplatzführer versucht mich zwar zu beruhigen, aber mir kann keiner erzählen, dass bei West nicht ein gigantischer, auf dem langen Weg übers Skagerak aufgetürmter Schwell auf der Bucht steht. Außerdem hat ein Westwind, so wie die Liegemöglichkeiten verteilt sind, in jedem Fall eine auflandige Komponente. Da gnade uns Neptun oder sonstwer, wenn der Heckanker nicht hält. Dummerweise dauert zuerst der Weg über die Felsen nach Marstrand eine Ewigkeit, was teils an unüberwindbaren Spalten und tückischem Falschabgebogensein liegt, teils an der Tatsache, dass ich alle paar Meter glaube, von hier ein noch tolleres Foto machen zu können. Marstrand ist ein wirklich toller Ort, in dem ich Stunden verbringe, anstatt nur kurz zu gucken und Brot und Fisch zu kaufen. Für den Rückweg finde ich zwar die günstigste Strecke, aber in der Nachmittagssonne sieht alles noch viel toller aus, und wieder bleibe ich dauernd stehen mit der Kamera in der Hand. Vom Großen und Ganzen bis zu den Details habe ich alles im Kasten, als ich wieder an Bord bin. Und natürlich hat der Wind bereits auf West gedreht und aufgefrischt.

Die folgenden zwölf Stunden sind eher lehrreich als schön. Und ein bisschen aufregend. Ich beschließe, lieber hier zu bleiben als jetzt noch gegen diesen Schwell aus der Bucht zu kreuzen, lege Paula nochmal um. Das Essen ist auf dem Herd, als eine Familie in Kajaks durch den geschützten, für Paula zu flachgründigen Zugang zur Bucht angerudert kommt, Eltern und zwei Töchter. Die jüngere fällt mir durch ihr zutiefst sympathisches Lächeln auf, die ältere durch ihre erheblichen Ruderfähigkeiten und ihren gewaltigen Ehrgeiz. Sie will mit entschlossenem Gesicht partout weiter, trotz eines guten Meters Welle, und kommt tatsächlich Stück für Stück voran. Ihre Schwester kentert unter schrillem Geschrei, die Eltern flüchten sich auf die Steine und versuchen ihre Älteste zum Umkehren zu bewegen. Endlich sind alle an Land, packen ihre Boote an ein geschütztes Plätzchen und streiten heftig. In der Zwischenzeit habe ich gekocht und gegessen, einen verheerenden Wetterbericht zur Kenntnis genommen und dabei nervös die Seekarte studiert. Die Sonne geht unter, gleich kommt die Dunkelheit. Als ich die vier zu Fuß losziehen und dann wieder ratlos stehenbleiben sehe, rudere ich auf ihre Seite der Bucht und gebe meine Erfahrungen auf dem Landweg nach Marstrand weiter. Mehr kann ich nun auch nicht tun, vier Schlafplätze habe ich nicht zu bieten.

 

 

 

 

Fortsetzung