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Wenn der Ersatzkanister durch die Plicht schießt, ist eindeutig zuviel Wind!

  • Einhandtörn
  • Kursplanung mit Rotwein

einhand Schlei-Westschweden und zurück, Juli 2011

 

 

Um das mal gleich vorweg zu sagen: der Behauptung, der Sommer sei 2011 komplett ausgefallen, kann ich mich überhaupt nicht anschließen. Ja, es war nass, es gab schwierige Windverhältnisse, aber wenn ich nun im Logbuch blättere, stolpert mein Auge immer wieder über Aussagen wie "herrlicher Segeltag!!!" und "Ich bin glücklich!" Ich finde ja, zuviel Farbinformation überfordert das menschliche Auge. Schietwetter und Grau-in-grau ist eine wunderbare Sache: danach ist man wieder aufnahmebereit für all die leuchtenden Farben im Sonnenlicht. Anders gesagt: manchmal muss man sich sein Glück erarbeiten...

Mit dieser Philosophie brechen Paula und ich also Anfang Juli zu einer dreiwöchigen Reise zu den westschwedischen Schären auf. Ich bin überzeugter Einhandsegler und Purist - Paula ist das passende Schiff dazu. Ein Nordisches Folkeboot, Baujahr 1965, sieben Meter sechzig mal zwei Meter zwanzig nur für mich allein. Paula ist gutmütig, sicher, wunderschön und schnell: ich sage zwar immer, wenn die anderen reffen, fährt das Folkeboot erst richtig los (ich kann ja auch gar nicht reffen), aber die sechs Knoten Rumpfgeschwindigkeit habe ich auch schon bei 4 Bft erreicht. Sie ist ausgestattet mit dem nötigsten und sonst nix. Sprayhood? Seereling? Nicht auf Paula. Für nötig befinde ich GPS und Echolot, ein Fahrrad (ich nenne es "Gast", denn es wohnt ja schließlich in der Gästekoje), ein Schlauchboot (das analog dazu "Karlsson" heißen müsste, nach Astrid Lindgrens "Karlsson vom Dach"), einen Sack gute Kartoffeln, eine Backskiste voll vernünftigem Tauwerk (hör mir auf mit diesen geflochtenen Spielzeugfestmachern mit den lustigen Gummiruckdämpfern...). Paula steuert einen 5PS-Außenborder bei (es sei erwähnt, dass es sich dabei um einen reinen Hilfsmotor handelt. Bei Welle sorgen die Bewegungen des Rumpfes dafür, dass dauernd die Schraube auftaucht. Darauf muss man sich einstellen) sowie eine zwar nicht selbstlenzende, dafür aber tiefe, urgemütliche, wunderbar geschützte Plicht.

Ich verzichte auf Windfahne und Autopilot, um zwischendurch die Pinne verlassen zu können, habe ich ein Seil an ihr befestigt, das über Umlenkrollen am Süll nach vorne führt, damit kann man wunderbar von jedem Punkt des Schiffes aus rudergehen. Ich muss ja auch nur abfallen, das Anluven übernimmt Paula. Ich erwähne das, damit von der Erarbeitung meines Glücks im Verlauf der sechshundertelf Seemeilen der Reise der richtige Eindruck entsteht: ich habe nicht jede Meile genossen, aber keine einzige versäumt.

 

 

Der Hinweg: Strecke machen!!

Ich verbinge ungern meinen Jahresurlaub in Häfen, wo ich an jedem beliebigen Wochenende hinfahren könnte. Da trifft es sich ganz gut, dass die Reise mit ordentlichen NW5-6 beginnt, grau in grau, Spritzwasser und Regen. Es gurgelt im Wassergang, Paula hat einen harten Tag, aber bei halbem Wind geht es auch gut voran, dreizehn Stunden bis Vejrø.

Die ganz große Euphorie will sich tagelang nicht einstellen. Mag sein, der Ballast der unerfreulichen letzten Arbeitstage ist ausnahmsweise nicht auf dem Steg von mir abgefallen sondern irgendwie an Bord geraten. Es läuft auch nicht reibungslos: auf Vejrø hält mich ein ausgesprochen geselliger Abend mit holländischern Seglern und holländischem Dosenbier vom frühen Schlaf ab, am folgenden Nachmittag ist der Wind alle. Optimale Bedingungen für den Weg Richtung Sund vergeude ich für einen Abstecher zum beeindruckenden Kalkbruch von Faxe, dafür werde ich mit nächtlichem Gedümpel und ab dem Morgen mit totaler Flaute gestraft. "Keine Lust auf Großstadt" und "Strecke machen!" sage ich mir, der Hilfsmotor bringt uns mit dem letzten Schluck Benzin nach Gileleje. Dann ist wieder kaum Wind, aber eine freundliche Strömung am Nordausgang des Øresunds spült uns mit speed nach Torekov. Wieder einen Tag später brist es auf und zieht es sich zu, mir ist das zu heikel, die Fahrt endet schon in Falkenberg.

Dort bin ich angenehm überrascht: in meiner Vorstellung bestand die Küste zwischen Kullen und Kungsbackafjord aus langweiliger Landschaft und hoffnungslosen Häfen, so dass man am besten in einer Rutsche daran vorbeifährt. Im letzten Jahr habe ich das auch so gemacht. Nun entpuppt sich Falkenberg als pittoreskes Städtchen an einem hübschen Fluss. Hat man bei auflandig 5 erstmal die Einfahrt getroffen und im Schutz der Molen die finstersten industriellen Anlagen hinter sich gelassen, offenbart sich eine endlose Reihe geschützter Liegeplätze an schraddeligen Stegen in romantischem Industrieambiente, die von einem supernetten, redseligen Hafenmeister betreut werden. Ganz nach meinem Geschmack. Auf den Dauerregen hätte ich auch verzichtet, aber dann ist es im Unterschied zum strahlenden Sonnenschein so viel einfacher, sich im Nachhinein an der großen seglerischen Leistung des Tages unter eindeutig widrigen Bedingungen zu erfreuen. Da war sie endlich: die ganz große Euphorie. Es fehlte ja auch nur noch eine einzige, kleine Tagesetappe zu den Schären.

Erstmal wurde es halbwegs dramatisch. Eine frische Brise steht genau auf der Ausfahrt? Dann mal los, Paula, dann kreuzen wir da eben raus. Immer ein bisschen Nervensache mit Extradosis Adrenalin und voller Konzentration. Segelsetzen im Schutz der Speicher und Fabriken, Motoren, solange die Welle es zulässt, dann segelnd bloß keine Höhe verschenken und die Schläge bis zum letzten Moment ausfahren. Das Gute an einem Fluss ist, dass die Strömung hilft: die Molenköpfe bleiben allein zurück, Holeschlag um Holeschlag bringt uns von Tonne zu Tonne, dann ist das geschafft, der Himmel klart langsam auf und der restliche Tag ist langes, sportliches Segeln zu den Schären.

Kungsø begrüßt uns nicht ganz so, wie wir es verdient hätten. Der Wind hat auf Süd gedreht, in die klassische Ankerbucht östlich der Insel läuft Schwell. Ich taste mich nervös zwischen unmarkierten Steinen hindurch zu einem Plätzchen an der Westseite, pumpe "Karlsson" auf und rudere an Land, um die Ankunft mit Rotwein und Postkartenschreiberei zu feiern. Die ersten Karten handeln von einer tiefschwarzen Wolke, die vor uns nach Norden zieht, einen Haken schlägt und plötzlich über uns hängt. Die weiteren Karten beschreiben meinen überstürzten Rückweg, großtropfigen Regen und pfeifende Böen, das mulmige Gefühl angesichts der Felsen keine zwanzig Meter nach Lee und die Schufterei, mit der ich in diesem Sauwetter einen zweiten Anker ausbringe. Ich schreibe sie, als nach einem ausgezeichneten Abendessen die Wolke weiterzieht, der Wind abflaut und sich eine ruhige Nacht abzeichnet.

 

 

 

 

Fortsetzung

 



Die Seenotretter: DGzRS