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Stürmische See

Fortsetzung des Einhandtörns von Sandhamn nach Makkum

18.15 Uhr: Die Abenddämmerung senkt sich herab. Den ganzen Nachmittag bewegte sich die Wolkengrenze vor uns. 25 Meilen weiter südlich und die Sonne hätte den ganzen Tag geschienen. Etmal auf der Karte ca. 140 sm, auf der Logge 126,5. Die Logge läuft also deutlich nach. Bin mit dem Etmal zufrieden, habe mit durchschnittlich 135 sm pro Tag gerechnet. Der Wind ist fast optimal! Gutes Tempo, moderate Welle – „DANKE!“ notiere ich. Dennoch etwas wehmütige Stimmung. Denke an die Mäuse zu Hause – sie haben manchmal ein bisschen wenig von mir, z.B., weil ich hier gerade mein eigenes Ding mache. Meine Gedanken sind sehr intensiv. Genau das liebe ich am Solo-Segeln. Viele Familienurlaubsbilder laufen ab. Wanderungen über die Inseln, Essen in den idyllischen Restaurants, Spielen am Strand… Alles erscheint in dieser Weite plastischer, farbiger, konzentrierter. Es ist ein tolles, unvergessliches Gefühl, für mich einer der Hauptreize am Solo-Segeln. Kenne ich sonst nur aus Hypnoseähnlichen Zuständen.

20.45 Uhr: Was wird die Wettervorhersage auf Deutschlandfunk gleich bringen? Habe eine wahnsinnige Sehnsucht nach Hause, und das nach gerade mal 24 Stunden auf See!?! „Bin furchtbar ungeduldig und will, dass die Fahrt zu Ende ist“, notiere ich. Verrückt, aber da ist sicher auch ein bisschen Angst im Spiel, ob ich es bis Makkum schaffe. Der zu erklimmende Gipfel erscheint ziemlich hoch – wäre ich doch schon oben! Die Kletterpartie hält womöglich noch einiges an unangenehmen Überraschungen bereit. Aber der Wetterfunk verbreitet erst einmal Beruhigung: „Umfangreiches Hoch“, „kein Starkwind“. Wind aus Ost/Nordost, mäßig bis frisch.

01.00 Uhr: Lasse die Maschine laufen, erstmals seit knapp 30 Stunden, die Akkus sind alle. Ich lade eineinhalb Stunden.

04.00 Uhr: Mein Plotter fährt nach 33 Stunden Betrieb runter. Ein Softwareproblem? An zu viel Hitze kann es jedenfalls nicht liegen. 05.15 Uhr: Muss das Großsegel bergen, Wind genau achterlich, der Baum hängt zwar am Bullenstander, schlägt aber einige Male hart. Zum Bergen brauche ich in der Dunkelheit gute 15 Minuten! Es regnet.

05.50 Uhr Radarantenne ausgeschaltet. Der Plotter läuft wieder stabil!

09.50 Uhr: Laufen immer noch bei achterlichem Wind, aber ruhiger, mit 6,5 bis 7 Knoten. Der Wind hat zugenommen. Pas mal! Die zweite Nacht ist überstanden! Das ging deutlich besser als die erste Nacht, aber lang, diese Dunkelheit und Kälte! Meine Stimmung steigt, der flaue Bauch ist fast weg! Die Wetterlage ist weiter stabil.

12.00 Uhr: Bin ohne Mütze an Deck!! Und fühle mich fit!

13.25 Uhr: Langeland liegt nun schon weit zurück. Wie mühelos war es, diese Strecke zu dritt abzusegeln, als wir im Juni in der anderen Richtung unterwegs waren. Jetzt ist jede zurückgelegte Seemeile umso wertvoller. Was man geschenkt bekommt ist einfach nicht das Gleiche wie das, was man sich erkämpft. Bin ich ein Kämpfer? Eher ein zäher Hund, mit einem Quäntchen Mut und Neugierde. Wie auch immer, die Hanöbucht gibt Gelegenheit zum Entspannen. So ruhig wie hier wird es auf dem Rest meiner Reise nicht mehr. Immer noch keiner einzigen Yacht begegnet! Wenn ich die langgezogene Bucht durchquert habe, ist es bis Bornholm nicht mehr weit. Zwischen Schweden und Bornholm verläuft die Hauptschifffahrtsroute nach Osten ins Baltikum und nach Russland. Da ist nichts mehr mit Nickerchen. Eigentlich für den Rest der Reise nicht mehr. Die Ostsee wird dann enger, Ystad und der Öresund rücken näher, da herrscht überall relativ viel Verkehr.

Für’s Kattegatt ist wenig Wind vorausgesagt, für die südliche Ostsee immerhin 3 bis 4 Beaufort. Tendiere deshalb dazu, durch den Nord-Ostsee-Kanal zu gehen. Sollte ich die Strecke Sandhamn-Kiel in einem Stück schaffen, wäre auch das phantastisch! Bei achterlichem Wind fallen mir die Augen zu. Bis es knallt – die Bullenstander-Talje hat sich geöffnet, die Curry-Klemme nicht gehalten! Aber immerhin ist der Baum nicht umgeschlagen, also keine Patenthalse. Ab jetzt mache ich immer noch einen Sicherungsschlag in die Talje, sie hat wirklich eine Menge auszuhalten, wenn der Wind plötzlich von der anderen Seite kommt. Die Geräuschkulisse ist übrigens beträchtlich – auf diesem Kurs mit der Welle von 
schräg hinten ist relativ wenig Stabilität im Boot, es ist ein ständiges Rollen und deshalb Klappern der Türen, Scheppern von irgendwelchen Gegenständen, die Wellengeräusche, die Geräusche des Riggs – unter normalen Umständen könnte ich da unmöglich schlafen… Aber unter normalen Umständen wird man ja auch nicht so schön von einer Seite auf die andere geschaukelt, ohne Unterlass.

 

Fortsetzung