737 sm einhand vom 15.09. bis 23.09.2008
Mein Flug nach Stockholm geht morgens um kurz nach sechs am 15. September. Es ist kühl, dunkel und ungemütlich, als ich mit dem Taxi zum Flughafen aufbreche. Die Nächte sind schon recht lang, es geht spürbar auf den Herbst zu. Stockholm empfängt mich grau und trübe, bei etwa 10 Grad Lufttemperatur. Mit dem Expresszug sause ich in die Stadt, von dort muss ich mit dem Bus weiter fahren Richtung Osten, Richtung Schären, nach Stavsnäs. Die Verbindungen finde ich nicht auf Anhieb, habe keinen Reiseführer, keine Karte, nichts zur Orientierung dabei, weiß nur, dass ich irgendwie nach Sandhamn muss. Etliche Male muss ich mich durchfragen und bekomme jedes Mal eine freundliche Auskunft. Stavsnäs ist ein kleiner Ort auf dem Festland, von dem die Fähre nach Sandhamn ablegt, jetzt in der Nebensaison zwei Mal täglich. Ich muss ca. 2 ½ Stunden warten und mache es mir im kleinen rot gestrichenen Holzwartehäuschen mit einem Buch gemütlich. Zweieinhalb Stunden garantiert ungestörtes Lesen, das ist doch herrlich! Zumal meine Lektüre stimmte – Richard Prechts philosphische Reflektionen: „Wer bin ich und wenn ja, wie viele!“ Sie sollten mein Begleiter für den anstehenden Törn werden.
Die Fähre ist fast leer. Wer will zu dieser Jahreszeit schon nach Sandhamn fahren? Die Touristen haben sich in wärmere Gefilde verzogen, der Sommer geht hier spürbar früher zu Ende. Das bei Sonne und Wärme so reizvolle Sandhamn ist ausgestorben, abweisend und trostlos. Immerhin treffe ich den Hafenmeister an, der mich mit seinem Dinghi zur gegenüberliegenden Insel Löckholmen bringt. Dort treffe ich Kala nach gut 11-stündiger Reise gegen 16.00 wohlbehalten an. Großartig! Ich setzte mich erst einmal an Deck, auf das ein
paar Kiefernnadeln aus dem benachbarten Wald herübergeweht sind. Ich denke zurück an die letzten sechs Wochen seit unserer Abreise aus Sandhamn. Sechs vollgepackte, nervenaufreibende Wochen mit vielen, vielen Überstunden im Büro und einer einwöchigen Dienstreise nach Ghana. Ich genieße die Ruhe und doch bin ich nervös.
Denn eine ganz andere Herausforderung erwartet mich nun: Ich will Kala von den Stockholmer Schären zurück nach Makkum überführen, also solo eine Strecke 700 bis 900 Seemeilen absegeln. Ich werde die kommenden Tage also nicht länger als 15, maximal 30 Minuten am Stück schlafen können. Zwischendrin muss ich konzentriert sein. An Deck und unter Deck. Es gibt einige Schnellfähren, die legen in einer halben Stunde 16 sm zurück. Zum Beispiel die Fähre von Gotland nach Stockholm. Gut 20 sm beträgt die Reichweite meines Radars. Und die optische Sichtweite liegt bei diesigen Witterungsverhältnissen wie heute bei allenfalls 5 sm. Was das bedeutet, kann man sich leicht ausmalen. Außerdem darf ich nicht über Bord gehen. Es gibt keine zweite Chance. Nun sitze ich hier, es kann losgehen, eigentlich gibt es jetzt kein zurück mehr. Es muss also losgehen. Ich kann ja schlecht zurück nach Stockholm fahren, in den Flieger steigen und ohne Kala nach Hause kommen... Ist das eine gute Idee, so alleine?
Noch nicht einmal Zeit zum Einkaufen und Proviantieren gönne ich mir. Dazu hätte ich mich nach Sandhamn verholen müssen, festmachen, einen Laden finden, soweit es hier überhaupt so etwas wie einen offenen Laden gibt. Nein, keine Geduld. Ich will los und nehme dafür in Kauf, mich die nächsten Tage mit wenig mehr als Nudeln, Haferflocken, Knäckebrot und Tomatensoße zu begnügen. Ruck zuck mache ich Kala segelklar und montiere die Windfahne. Ich will los, bevor es dunkel wird.
18.30 Uhr. Gehe ein letztes Mal an Land. Keine Kinder, niemand, nur ich, kein Trubel wie noch vor sechs Wochen. Ich kraxele noch mal quer über die schroffe Insel, setze mich auf blanke, eiszeitlich rund geschliffene Granitfelsen. Dieser Granit. Wie vergänglich ist alles im Verhältnis dazu. Ich sammele mich. Blick vom Felsen auf Kala, sonst liegt nur noch ein weiteres Boot im Hafen. Kala liegt ruhig und sieht gut aus. Wenn ich keinen Mist mache, wird es klappen. Zeit zum Aufbrechen. Wie wird es laufen? 12 Grad. Mäßige Brise aus Ost. Mein Kurs wird für die nächsten zwei Tage ziemlich genau nach Süden führen. Das heißt halber Wind bis am Wind. Es wird ein harter Törn. Lange, lange hatte ich auf diesen Moment hingeplant. Auf diesen Moment, wo ich zu einem langem solo-Törn aufbreche. Toll, dass es nun klappt, auch dank Kim, die zu Hause den Laden schmeißt und dank Dagmar, die mir dieses Abenteuer zugesteht. Ist ja nicht selbstverständlich! Wie wird die erste Nacht?
Ich starte um 18.40 Uhr. Erst einmal muss ich mich für etwa eine Stunde zwischen einigen Inseln und Untiefen durchnavigieren. Das Wasser wird zusehends offener. Beruhigend. Begegne einem Schiff, ein gutes Gefühl, ansonsten ist keine Menschenseele unterwegs. Es herrscht unangenehmer Schwell, genau von der Seite. Bei schwachem Wind rollt Kala fürchterlich. Draußen, im dunklen, ungemütlichen Cockpit sitzen, mag ich nicht. Ich koche, Nudeln mit Tomatensoße… Genießen kann ich es nicht, aber wenigstens ist es warm in der Kajüte. Um 23.00 Uhr Blick auf die Logge – 20 sm liegen hinter mir, ungefähr 800 vor mir, fühle mich schon jetzt geschafft, bin aber ja auch schon seit fünf Uhr morgens unterwegs! Zu jedem Handgriff muss ich mich mühsam aufraffen. Das gibt es doch nicht, direkt am Anfang…