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Abenteuerurlaub

Schwedenreise 2012, wir immer einhand im Folkeboot- Fortsetzung

 

Geologische Lehrstunde

14. Juli: Kyrkosund - Tjälleskär, schwachwindig, heiter bis wolkig

Es ist nur eine halbe Stunde motoren, ich will doch auch noch die hübschen Kosterschären mitnehmen. Und es lohnt sich. Abgesehen von dem nach allen Seiten geschützten Liegeplatz, den netten Nachbarn, die mich abends zu Rotwein und Klönschnack einladen, der Ruhe und Idylle, die ich mit dem Schlauchboot paddelnd erkunde, ist Geologie selten so anschaulich wie hier. Zwischen dem von Gletschereis gerundeten und von Gebirgsfaltungen zerklüfteten Granit gibt hier in regelmäßigen Abständen Streifen eines schwarzen Gesteins, das ist der Koster-Diabas, und er ist im Vergleich zum Granit weniger widerstandsfähig. Die Verwitterung der Jahrmillionen hat ihn zum Teil vollständig entfernt, und das Ergebnis sind breite, tiefe Klüfte, man möchte sagen Täler, von den steilen Wänden des Granits begrenzt. Während sich oben auf den Felsen gerade mal ein paar Flechten halten, sind die Täler voll mit Bäumen, Farnen und Wiesen. Zum Wasser hin setzt sich der Granit als Finger fort, wie Stege, an denen man die Schiffe anbindet, und die Täler sind die kleinen Hafenbecken. So hat jedes Schiff seinen eigenen Felsen zum Grillen und rumlaufen. Ich komme aus dem Staunen kaum wieder raus. Wer noch nie hier war, hat eindeutig etwas versäumt!

Noch etwas anderes bietet Anlass zum Staunen: ich habe eigentlich vor, nur ein paar Stunden zu bleiben und mich dann irgendwo hinter den höchsten Innenschären zu verkriechen vor dem Sturm, den der dänische Wetterbericht für abends angekündigt hat. Ich frage jede einlaufende Yacht nach der schwedischen Vorhersage, und alle sagen: schwachwindig, morgen Abend gibt es Sturm. Bisher kannte ich schon die Variante: wenn der Däne sagt "fünf bis zehn Meter pro Sekunde", dann sind es zehn, und wenn er sagt "drei bis acht", dann sind es drei. Dieses Jahr ist bisher die Grundregel, es ist immer deutlich mehr Wind als angesagt (ich erinnere an den ersten Tag meiner Reise), oder es ist totale Flaute. Das mag an der insgesamt chaotisch-wechselhaften Witterung liegen, die Meteorologen ganz sicher die Arbeit schwer macht, aber dass man die Starkwindwarnung mal eben vierundzwanzig Stunden zu früh rausgibt, finde ich wirklich bemerkenswert ungenau.

Es wird dann bei spiegelglattem Wasser und sich verziehenden Wolken ein wundervoller Abend, das norwegische Ehepaar, das schon seit gestern hier liegt, lädt mich zum Rotwein auf "seinen" Felsen ein, und ich habe den Eindruck, sie haben nicht etwa Mitleid mit dem einsamen Einhandsegler, sondern finden mich (und Paula) sympathisch und möchten mich ein bisschen kennenlernen. Eine weitere Grundregel: Einhandsegler sind selten allein!

 

 

Angsthasensegeln?

15. Juli: Tjällsekär - Sannäsfjord, Sonne, unterwegs mäßiger Wind aus Südwest

Heute Nachmittag soll es also wirklich pustig werden, 7-8 Beaufort, das sagt diesmal auch der Schwede. Ich habe noch acht Tage, Grund genug, mal an den Rückweg zu denken, aber dies scheint nicht der richtige Tag für einen langen Schlag übers offene Wasser zu sein, und eine einsame Außenschäre scheidet auch aus. Dabei sind die oft erstaunlich gut vor Wind und Welle geschützt, aber mit Pech erwische ich genau den Felsen mit der unruhigen Nacht. Ich kreuze sieben Meilen nach Süden und fahre fünf wieder nach Norden, durch den Havstensund, und verkrieche mich am frühen Nachmittag in den dahinter liegenden Fjord. Es bleibt noch Stunden relativ ruhig, und natürlich gewinne ich den Eindruck, ich hätte deutlich mehr Strecke schaffen und ein bisschen was riskieren können. Vor lauter Angst nicht genug aus dem Tag gemacht?

Nein. Alles gut. Die Bucht füllt sich, alle denken ähnlich wie ich. Ich treffe sogar eines der Schiffe aus Tjälleskär wieder und stelle fest: Wir haben das gleiche gemacht, dann kann es nicht so dumm sein. Die Landschaft drumherum mit reichlich Wald um die hohen Felsen ist herrlich und rechtfertigt einen Besuch auch ohne Starkwindwarnung. Am späten Nachmittag pfeifen dann die ersten ruppigen Böen durchs Rigg, selbst hier drinnen, und vom höchsten benachbarten Felsen aus kann ich in der Ferne die Außenschären sehen: es müssen unfassbar riesige Gischtfontänen sein, in denen die geballte Wucht der Skagerak-Brandung in die Höhe schießt. Im Fjord fällt das Wasser um fast einen halben Meter, das Schlauchboot, das ich zum Aussteigen über ein paar kleine Steine vorm Bug benutze, fällt trocken. Paula nicht, ich bin ja nicht so doof, sie zu dicht anzubinden. Nach dem fünften Landgang, ich kann mich nicht sattsehen an der Landschaft, falle ich in einen ruhigen Schlaf.

Das beste zum Schluss (welcher Schluss?)

16. Juli: Sannäsfjorden - Alvö, West 6-7, Sonne

Nach dem zu urteilen, was bei uns im Fjord ankommt, hat der Wind deutlich nachgelassen, aber dann müssen es gut und gerne 8 in Böen 9 gewesen sein gestern Abend. Ich binde in der Morgensonne mein Reff ein und mache mich auf den Weg, in der Absicht, Wind und Wellen zu trotzen, solange es Spaß macht. Spaß? Ich mache mich auf den Weg, aber ich bin hochgradig nervös. Nach dem Havstensund kommt erstmal eine gute Stunde offenes Wasser. Bestimmt habe ich "Alter Schwede" vor mich hingemurmelt, man kann sich ja vorstellen, wie das gebrodelt und getobt hat, und ich war froh über jedes Grad, das ich abfallen konnte, und erleichtert über jeden Felsen, der sich dem Drama in den Weg stellte. Eine Motoryacht kommt mir entgegen. Sieht nicht so aus, als läge bei denen noch irgendein Ausrüstungsgegenstand an seinem Platz, das kleine Schiffchen bewegt sich so kolossal auf und ab, es rollt und giert, dass es zum Erbarmen ist. Bei mir ist es das komplette Besteck und eine Zitronenhälfte, was den Weg aus dem Schapp zu den Flurbrettern findet. Nein, liebe Landratten, Segeln hat mit Entspannung nicht das geringste zu tun, jeder Muskel ist angespannt, und das nächste Stück Innenfahrwasser nicht mehr als eine kleine Verschnaufpause. Wobei: ich kenne jetzt die Bedingungen dieses Tages, ich habe gesehen, dass Paula damit allemal besser zurechtkommt als die Motoryacht, und meine Nervosität ist weg. Trotzdem fange ich nicht gerade an rumzualbern, volle Konzentration ist gefragt, jeder Schritt will gut überlegt sein, jede Schwierigkeit vorausgeahnt, sonst kann so ein hübscher, hilfreicher Felsen schnell bedrohlich werden.

Bei Hunnebostrand ist die Auswahl: außenrum, also diesmal richtig außen, mit allem was das an Seegang und mangelnden Sicherheitsreserven bedeutet - oder durch den Sotekanal. Der könnte ein echtes Highlight sein, aber ich bin nicht sicher, ob ich da Platz und Abdeckung zum Segelbergen habe, und noch unsicherer, ob es am Südausgang nicht auch gleich wieder auf die Mütze gibt, außerdem drängt sich dort um Smögen und Kungshamn auch kein Naturhafen wirklich auf. Ich blättere hektisch in meinem Naturhafenverzeichnis, in der Nähe gibt es einiges. Der erste Anlauf scheitert: ich kriege zwar in Ruhe das Groß runter und die Bucht wirkt kuschelig und sicher, aber sie ist eng, und wie ich da mit der Fock darauf zu kreuze, kommt mir ausgesprochen wild und unkoordiniert vor. Hier Fock bergen, Motor in Gang kriegen, Heckanker klarieren und eine Leine an Land kriegen, ohne zwischendurch hilflos zu vertreiben, bis es gewaltig scheppert? Lieber nicht ausprobieren. Mit der Fock segle ich eine Felsengruppe weiter, und hier sieht alles schon viel besser aus: keine Welle, nur noch ein bisschen Wind, die Fock geht runter, der Motor tuckert los. Schon wieder wird es spannend und geht dabei zu schnell, um drüber nachzudenken und nervös zu werden: Der Weg in die Ankerbucht ist gesäumt von Flachs und versunkenen Steinen, Peilmarken weisen den Weg, aber als ich in der grellen Nachmittagssonne die erste davon finde, hat sich das auch schon erledigt. Naja, eins zwanzig Tiefgang und die meisten der Flachs sind eins fünfzig Solltiefe, außerdem halte ich mich schön in der Mitte, da kann eigentlich nicht viel schiefgehen, aber riskant ist es schon. Die Bucht ist einigermaßen voll, und ich bin in keinster Weise vorbereitet - Fender, Festmacher, Anker liegen erwartungsvoll an ihren Plätzen. Ich drücke jemandem die Vorleine in die Hand und gehe bei ihm längsseits, er hat vollstes Verständnis für meine schlechte Vorbereitung und freut sich, mir helfen zu können. Außerdem habe ich das Glück, einen absoluten Insider vor mir zu haben, wohnt in Hunnebostrand, zehn Minuten von hier, und schippert seine Familie jedes Wochenende hierher.

In der Annahme, dies sei meine letzte Schärennacht, begebe ich mich auf Landgang. Und merke gleich: ich habe mir das beste für den Schluss aufgehoben. Zum Skagerak hin fällt die Insel stufenweise ab wie ein römisches Theater, man möchte ein Schiff dort verankern als Bühne. Allerdings nicht bei diesem Wind, es spritzt spektakulär im grellen Gegenlicht der Nachmittagssonne. Alvö ist für etwas anderes berühmt als sein Theater: Löcher! In allen Durchmessern (zwischen 10 cm und über ein Meter) und Tiefen (bis zu einem Meter oder mehr) gibt es hier lauter sonderbare Löcher, zum Teil steht Wasser drin, zum Teil wächst darin ein Baum oder ein hübsches Blümchen. Ich habe irgendwo gelesen, es seien sechsundneunzig solcher Löcher gezählt worden, aber mein Nachbar spricht von über dreihundert. Ich zähle nicht, sondern staune.

Es gibt eine geologische Erklärung für diese Löcher, nach meiner Theorie waren das Einsprengsel eines weicheren Gesteins, das inzwischen wegverwittert ist, aber sei's drum, man kann die Löcher ja auch mal Löcher sein lassen, ohne sich über ihre Entstehung Klarheit zu verschaffen. Alles Natur hier: Natur-Hafen, Natur-Theater, Natur-Blumenkübel. Es ist kaum zu glauben, wie geschützt wir liegen: fünfzig Meter dort drüber ist die Hölle los, und bei uns kommt davon nur ein dünnes Rinnsal an, ja die Schiffe bewegen sich, aber nicht mehr als in jedem Hafen auf der Welt bei Windstärke sieben.

 

 

Fortsetzung