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Abenteuerurlaub

Schwedenreise 2012, wir immer einhand im Folkeboot

 

Am Abend des 30. Juni steige ich im Hafen aus dem Auto meines Shuttledienstes, das hat der Boss organisiert, nachdem er vergessen hatte, dass er mich selbst hinfahren wollte. Von einer Sekunde zur nächsten verabschiedet sich das Landleben aus meinen Gedanken, als wäre es im Wagen liegengeblieben, Tatendrang, Begeisterung und Urlaubsstimmung nehme ich mit an Bord. Mein Plan ist ganz einfach: mit langen Schlägen durch den Kleinen Belt nach Norden, so schnell es geht nach Göteborg, und dann das Leben genießen.

Nach den Erfahrungen des Vorjahres (siehe entsprechender Törnbericht) hat Paula ein neues, reffbares Großsegel bekommen, außerdem neue Fensterchen mit Messingrahmen zum Öffnen. Den meisten gefällt's, es hat auch schon jemand bemängelt, das sähe zu verspielt aus und sei "überhaup nich ogginal", ich finde es vor allem praktisch: ein bisschen mehr Luftzirkulation, und im Gegensatz zu den ollen Plexiglasstreifen kann ich durchgucken. Ganz dicht sind sie leider nicht geworden.

Ich bin im fünften Jahr mit Paula (F GER 1023, ex-F DEN 443) unterwegs, und es gab Zeiten ständiger Nervosität: Wie soll ich bloß in den Hafen reinkommen bei dem Wind, oder wieder raus? Krieg ich das hin mit dem Segelbergen, finde ich ein bisschen Abdeckung und Schutz vor Welle? Ich bin in keinen fremden Hafen reingefahren, ohne vorher bange Blicke ins Hafenhandbuch zu werfen und mir jeden Winkel einzuprägen. Inzwischen kenne ich für die meisten Situationen eine Lösung, ich weiß, was funktioniert und was nicht, und bin entsprechend entspannt. Das nennt man wohl Routine. Die kann richtig gefährlich werden, wenn sie mit Sorglosigkeit einhergeht - da trifft es sich gut, wenn es von Zeit zu Zeit einen kleinen, mahnenden Dämpfer gibt. Auf der Verlustliste steht diesmal ein Anker, aber davon später mehr. Die Farbe ist drangeblieben und die Stimmung an Bord war manchmal leicht sarkastisch, aber durchgängig gut bis euphorisch. 698 Meilen, von denen nicht jede zum Genießen war, aber doch jede auf ihre Art dazugehörte zu diesem Abenteuertrip voller Überraschungen. Aber lest selbst!

 

 

„It’s never dull“

1. Juli: Arnis - Middelfart, strahlende Sonne, West 6

Zu den neuen Fenstern gibt’s auch diese Polierwatte. Ich habe mich für ein Produkt namens „Never Dull“ entschieden, die Beschreibung verspricht wahre Wunder, die das Zeug auch tatsächlich vollbringt. Nun hat das englische Wort „dull“ eine recht breite Bedeutung. Im Zusammenhang mit Metalloberflächen soll der Name suggerieren, dass nach der Behandlung mit diesem Produkt alles immer schön glänzt und niemals matt und stumpf ist. „Dull“ kann aber auch „langweilig“ bedeuten, und so gesehen ist der Name Programm. vom allerersten Tag an.

In Kappeln vor der Brücke treffe ich „Jonas“, das Traditionssegelschiff, auf dem ich mal angefangen bin zu segeln. Neues Design mit grünem Schanzkleid, ich staune, lobe die schöne Optik, Winke-Winke. Mit uns geht „Regina Maris“ durch die Brücke, eins von den holländischen Schiffen, die mit ihren Gästegruppen über die Ostsee schippern. Ich bin wirklich erstaunt: als erstes drängeln sie sich von der Stadtpier aus mitten durch den Gegenverkehr in die Brückendurchfahrt, reichlich Schallsignale gebend, was ich ziemlich frech finde, wo die sich doch von außerhalb des Fahrwassers kommen und den dem Fahrwasser folgenden Verkehr eindeutig behindern. Als sie mich überholen, höre ich Schlagermusik in voller Lautstärke, auch das kommt mir nicht wirklich angemessen vor, wenn um einen herum der Wind heult, die Wellen rauschen und die Vögel zwitschern. Auf „Jonas“ und „Paula“ gibt’s das jedenfalls nicht.

Dann gehen meine Segel hoch und der Spaß beginnt. Ich habe mich für den Kleinen Belt entschieden, ist zwar etwas weiter, aber schöner, und die angekündigten 4-5 Beaufort klingen ganz vielversprechend. Kurz hinter Gammel Pøl brist es dann gewaltig auf. Nördlich von Mommark verstecke ich mich hinter einem Wald am Ufer, binde in aller Ruhe mein Reff ein. Wusste nicht, dass das geht, einhand ohne Selbststeuerung und mit einem improvisierten Reffsystem, das ich erst ein einziges Mal ausprobiert habe. Ich bin ziemlich zufrieden mit dem Manöver, und dann geht es in rauschender Fahrt weiter nach Norden. Als ich an Bagø vorbeisegle, sind das locker-leicht fünfzehn Meter pro Sekunde, Wasser überall, es sieht so aus, als könnte es sich lohnen, zwischen Vorstag und Mast ein Netz zu spannen, der eine oder andere Fisch geht bestimmt übers Vorschiff. Es rauscht und gurgelt, platscht und spritzt spektakulär, als Paula sich in die Wellen stürzt und dabei den Eindruck erweckt, sie hätte großen Spaß an der Sache. Eine tüchtige Strömung schiebt uns vorwärts und stellt die Wellen eigentümlich auf, deswegen das ganze Wasser und die ganze Dramatik.

Bei all dem fühlt es sich keinen Moment so an, als wäre die Situation nicht beherrschbar, Paula schießt weiter begeistert durchs Wasser, und ich schüttele ein bisschen den Kopf und klopfe ihr zärtlich auf die Planken. Zwischendurch habe ich mal Mühe, sie vom Anluven abzuhalten. „Bitte Paula“ sage ich, „ich weiß, da ist viel Wind, aber lass uns doch mal abfallen, ja?“ Da kenne ich mich anders, genervt mein Schiff anfauchend, dass es gefälligst abfallen!!!! soll.

Sechzig Meilen sind bei durchschnittlich 6,4 Knoten fast ein Katzensprung, und pünktlich zum Fußballendspiel liegen wir unter wolkenlosem Himmel im Gamborg Fjord südlich vom Middelfart Jachthafen vor Anker und das Essen steht auf dem Herd. Die Stimmung könnte gar nicht besser sein in der ersten Ankernacht des Jahres: ich beherrsche die nötigen Handgriffe und treffe ab und an richtige Entscheidungen, Paula ist einfach phantastisch. Zur Belohnung bekommt sie ein Küsschen. Bah, sie schmeckt salzig.

 

 

Fortsetzung