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Wenn der Ersatzkanister durch die Plicht schießt, ist eindeutig zuviel Wind!

  • Schären-Stimmung
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Nach einer unruhigen Nacht wird der Morgen endgültig lehrreich. Der Heckanker slippt, kein Wunder, alles verkrautet. Paula liegt miserabel: ihr Steven nähert sich im Seegang bedrohlich dem Felsen, an den ich sie festgebunden habe. Erfolglos versuche ich, das mit einem zweiten Heckanker zu unterbinden. Warum ich nicht einfach die Vorleinen losschmeiße? Weil der Wind eben nicht ablandig ist, wie es sich gehört, sondern in etwa parallel zur Felskante einfällt, und weil einen Meter nach Lee kurz unter der Wasseroberfläche ein Stein nur darauf lauert, Paulas Bug in Stücke zu zerlegen. Dass ich mich von vornherein nicht so hätte hinlegen dürfen, kann ich mir vielleicht fürs nächste Mal merken, momentan nützt mir das nichts. Als der Steven das erste Mal am Felsen kratzt, höre ich auf zu grübeln und mich am Hinterkopf zu kratzen. Schnelles Handeln ist gefragt. Ich lege eine lange Vorleine auf Slip, löse die beiden anderen, ziehe mich aus und stelle mich auf den bedrohlichen Unterwasserfelsen. Mit der einen Hand halte ich Paulas Bug vom Felsen ab, mit der anderen fiere ich langsam die Leine. Ohne weitere Schäden kommen wir, wohin ich wollte: die einzige Landleine führt über den gefährlichen Stein hinweg, wir liegen in tiefem Wasser. Leine auf Slip, durch einen vorhandenen Ring, ich muss also nicht nochmal an Land und könnte in Ruhe frühstücken, wenn nicht das nächste Problem wäre: wie komme ich aus der Scheißbucht raus? Der Wind wird weder drehen noch abflauen. Hierbleiben scheidet aus: das Schiff schaukelt wie hulle, die gesamt Ausrüstung klötert durcheinander, das halten weder ich noch Paulas alter, hölzerner Rumpf dauerhaft aus. Mit einem anderen Schiff wäre man hier einfach rausmotort, als es ungemütlich wurde, aber ich habe das Problem mit diesem Außenborder im Seegang ja schon erläutert. Es gibt ein einziges Manöver, das aus dieser Klemme führt: Segel hoch, Leine los, hektisch zurück in die Plicht stolpern. Mir bleiben vier oder fünf Schiffslängen bis zu den ersten Steinen in Lee, um Schoten und Pinne unter Kontrolle zu kriegen. Dann geht es ein kurzes Stück mit halbem Wind, danach müssen wir rauskreuzen. Auf einer Beaufort-Skala der inneren Unruhe von null (Tiefschlaf) bis zwölf (Todesangst) befinde ich mich im Bereich der Nervosität, so fünf bis sechs, in Böen sieben bis acht. Ich tröste mich damit, dass ich auch schon bei solchen Bedingungen aus der Schlei rausgekreuzt bin, und die Ausfahrt scheint ähnlich breit wie Schleimünde. Noch eine rauchen, nochmal jeden Handgriff gedanklich durchgehen, dann lege ich los. Das mit den vier oder fünf Schiffslängen und den ersten Felsen in Lee geht so eben und eben gut. Dafür ist das Kreuzen nicht halb so dramatisch wie gedacht. Paula ist voll in ihrem Element - wenn's drauf ankommt, kombiniert sie die Wendigkeit einer Jolle mit der Seegängigkeit eines Klippers auf Atlanktikfahrt. Meter um Meter arbeiten wir uns luvwärts, mag sein, dass da ein paar Äpfel, Gabeln und Zahnbürsten aus dem Schapp fallen, aber wen stört's, und dann liegt Engelsmannen hinter uns und das glitzernde Skagerak unter strahlend blauem Himmel voraus. Ich gehe auf Nordkurs, nicht so sehr erleichtert als in völliger Euphorie (das ist eine andere Skala als die von eben. Stärke acht bis neun). Ich knuddele ein bisschen mein wunderbares Schiffchen, dann konzentriere ich mich auf das Schärenfahrwasser. In schneller Folge rauschen wir an Tonnen, Felsen, Fahrwasserknicks vorbei, Schoten müssen geholt und gefiert werden, es bleibt kaum Zeit, eine Kippe zu drehen. Nach zwei Stunden fällt mir ein Ankerplatz auf, hier ist es ja auch schön, denke ich. Blick in die Karte, oh, genau hier wollte ich ja auch hin. Schnell runter mit den Lappen und an den Felsen gehangelt. Die Ostseite von Hjärterö bei West: so sollte es sein, Wind genau ablandig, kein Schwell außer von den unvermeidlichen Motorbooten im Fahrwasser, keine Steine unter Wasser, ruhiges Liegen ohne Gefahr. Rechnet man die Schafe nicht mit, habe ich die Insel für mich allein. Das norwegische Ehepaar scheint hauptsächlich zu schlafen und ankert frei, die schwedischen Motoryachtis verlassen ungern ihre Grills. Ich springe vergnügt auf den Felsen herum, sehe staunend den Yachten zu, die sich durch das von hohen Steinen gesäumte Fahrwasser winden, am Ende ziehe ich mich komplett aus und knipse Selbstporträts im Stil griechischer Heldenskulpturen. Schöner als an diesem Tag kann das Leben nicht sein. Und ein genaueres Abbild des Lebens im Allgemeinen kann ein Segeltörn nicht sein: all die Strapazen, über dreihundert Meilen in einer Woche, Nachtfahrten ohne Vorankommen, Gejammer in der Flaute, Quälerei mit dem Ruderdruck bei Starkwind, Schauer und Gewitter, dann noch die ganze Dramatik in Engelsmannen - und nun ist alles einfach nur unvergesslich toll und klasse und großartig. Um das ganze abzurunden, taucht die untergehende Sonne den Himmel in eine Abfolge von Farben, die ich dort noch nie gesehen habe, Zitronengelb, Knallorange, dann ein verblüffend leuchtendes Grün wie von jungem Buchenlaub. Ich müsste müde sein, aber in dieser Stimmung mag ich nicht in die Koje. Der Vollmond geht auf, ich höre Musik, trinke Wein, genieße das Gefühl, genau an dem Platz zu sein, wo ich sein möchte. Ich bin glücklich.

Ich wache ziemlich früh auf, unendlich zufrieden und voller Tatendrang. Es gibt nichts schöneres als die Morgensonne, noch dazu in so einer Stimmung. Auf ein kleines Felsplateau direkt oberhalb unseres Liegeplatzes hat jemand einen hölzernen Stuhl abgestellt. Ich koche Kaffee, drehe eine Zigarette, die erste Zigarette des Tages sei die beste, schreibt Björn Larsson im Keltischen Ring, und er hat recht. NichtraucherInnen mögen mir diesen Exkurs verzeihen, ich bin sicher, Ihr habt etwas vergleichbares, das für Euch diese besondere Stimmung zwischen dem Aufstehen und dem restlichen Tag symbolisiert. Ich bringe Kamera und Stativ in Position, nehme Kaffeebecher und Zigarette und setze mich auf diesen Stuhl. Piep piep piep klick, sagt der Selbstauslöser, und alles ist drauf: Paula, ihr Schlauchboot, ich.

Es ist an der Zeit für einen Hafentag. Müll quillt aus den Backskisten, Wasser wird knapp, die Batterie könnte auch mal wieder geladen werden. Und es droht mal wieder Schietwetter mit Starkwind, da muss ich nicht nochmal in nur vielleicht geschützten Buchten mit nur vielleicht haltenden Ankern experimentieren. Mollösund ist mir schon von See her sympathisch. Und wir kommen zur richtigen Zeit an, gegen elf Uhr ist Bewegung im Hafen, ständig werden Plätze frei und gleich wieder belegt. Eine kleine Runde, in deren Verlauf ich den Heckanker klarmache, schon sind wir fest. Der Hafen ist zwar auf seinem Weg vom traditionellen Fischer- und Werfthafen zur schicken Marina voll Restaurants und Kunsthandwerksgedöns schon weit vorangekommen, aber immer noch voll Ambiente. Ich kaufe einen neuen Schrubber, der Stiel des alten ist meinem Putzfimmel in der Flaute im Øresund zum Opfer gefallen, sowie ein tolles neues Buch über das Folkeboot, leider in gepflegtem Schwedisch, aber es sind herrliche Fotos drin und ein Kapitel mit wertvollen praktischen Tips für die Winterarbeit, die man mit gutem Willen und Wörterbuch durchaus versteht.

 

 

 

 

Fortsetzung