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Wenn der Ersatzkanister durch die Plicht schießt, ist eindeutig zuviel Wind!

Rückreise

 

Ich soll zweihundertfünfzig Meilen nach Süden und habe dafür neun Tage Zeit. Eigentlich großzügig. Aber nicht Ende Juli 2011. Zunächst ist vier Tage kräftiger Südwind, in deren Verlauf ich es immerhin bis Varberg schaffe und noch eine schaukelige Ankernacht in den Schären verbringe (sowie eine in Björkö, wenn gerade eine achter Böe über einen hinwegpfeift, freut man sich über jeden Hafen, aber dieser hat außer ein bisschen Schutz wirklich nichts zu bieten). Einen Tag gibt's einen schwachen Nordwest, der im Laufe der Nacht auf 6 zunimmt und vier Tage Dauerregen und Sturm einläutet. Ich liebe Nachtfahrten und mag Herausforderungen. Ich muss es in einer Rutsche bis Lundeborg schaffen, sind ja auch nur hundertdreißig Meilen, weil danach der Wind auf West drehen und mir keine Chance lassen wird, die Großer Belt-Brücke zu schaffen.

Bis Anholt geht es wirklich nicht schnell voran, erstaunlicherweise gelingt es mir, das so hinzunehmen und ruhig zu bleiben. Die Nacht ist pure Euphorie, raumschots mit Rumpfgeschwindigkeit parallel zum Tiefwasserweg voll Containerschiffe und Kiel-Oslo-Fähren. Nach zwanzig Stunden Fahrt in Sichtweite von Kalundborg mag ich nicht mehr. Während Paula sich, inzwischen platt vorm Wind, an dem beträchtlichen Seegang abarbeitet, immer wieder schlagartig um dreißig Grad anluvt, gelegentlich auch abrubt durch die Halse geht, hält mich die Vorfreude auf den angenehmen Hafen und sein Fischrestaurant aufrecht. Ich erfinde den Dreisekundenschlaf: pennen, bis die Segel schlagen, Kurs korrigieren und gleich wieder einschlafen. Irgendwann geht selbst das nicht mehr, volle Aufmerksamkeit ist gefragt. Ich setze mir Etappenziele: eine Stunde bis zu dieser Tonne, dann eine Stunde bis zu jener, eine weitere Stunde zur Brücke, und von da noch eine Stunde bis Lundeborg. Die Rechnung geht auf, dank konstanter sechs Knoten Fahrt.

Im Hafen lotst mich als erstes einer dieser Klugscheißer in eine viel zu schmale Box, und als Paula da erwartungsgemäß nicht reinpasst, tut er so, als sei das meine Schuld. "Mit Fendern passt das natürlich nicht", in meiner aktuellen Stimmung möchte ich ihn erwürgen, zum Glück komme ich nicht zu ihm auf den Steg, finde ein anderes Plätzchen und ruhe mich erstmal aus. Das Fischrestaurant ist de facto ein Schnellimbiss und eine einzige Enttäuschung.

Nächster Tag. Regen. West sechs, Böen acht. Der Lundeborg Belt ist wunderbar geschützt, die letzten zweihundert Meter zwischen Brücke und Hafen in Rudkøbing gibt es erwartungsgemäß auf die Mütze. Am folgenden Tag bewege ich mich nicht von der Stelle, bin ja nicht verrückt. Am nächsten Morgen müsste ich eigentlich zurück in die Schlei. Den Arbeitsbeginn verschieben kann ich nicht, als nächstes verreist der Chef. Zum Glück habe ich noch einen Puffertag eingeplant, den ich eigentlich mit Wäschewaschen und Ausschlafen verbringen wollte. Der Wind kommt aus Süd oder Südsüdost, somit über Land, was den Eindruck vermittelt, er habe ein bisschen abgenommen. Ich versuche mein Glück. Ablegen und Drehen klappt irgendwie. Ich weiß nicht mehr, wo und wie ich die ausgelabberten, alten Segel hochgerissen habe. Ich kreuze nach Strynø, hin und hergerissen zwischen dem guten Gefühl, dass es irgendwie vorangeht, und dem Scheißgefühl, dass das hier reiner Wahnsinn ist, den die Welt mir nicht danken wird. Ab der Südtonne geht es mit halbem Wind Richtung Marstal. Es ist die Hölle. Bestimmt ein Meter Welle, und das, obwohl wir uns hinter einem ausgedehnten Flach befinden, das den Seegang abschwächt. Die zweihundertvierzig Grad nach Schleimünde kann ich sowieso nicht laufen, ich überlege ein paarmal, ob ich nach Strynø gehen (und was, wenn's da voll ist?) oder nach Rudkøbing zurückfahren soll. Paula stampft und schaukelt und liegt volles Rohr auf der Seite, die Pinne biegt sich unter dem Ruderdruck. Ich reiße das Groß runter. Mit der kleinen Fock von sieben Quadratmetern fährt es sich deutlich ruhiger bei immer noch fünfeinhalb Knoten, es gelingt mir sogar wieder, über die Kante zu pinkeln. Die letzte halbe Meile vor Marstal muss ich eine enge Rinne aufkreuzen, gegen Strom und Welle, in der Abdeckung, ich komme nicht durch die Wende, das Halsen kostet jedes Mal ein paar Meter, aber zumindest droht keine Gefahr. Endlich wird der Seegang so schwach, dass ich den Motor benutzen kann.

Das alte Hafenbecken ist voll. Voll von Yachten, deren Skipper sagen "ich muss heute zurück, aber es geht nicht." Einige sind rausgefahren und umgedreht, ich kann mir lebhaft vorstellen, wie das an der Ansteuerungstonne abgeht. Zwei, drei Meter hackige Ostseewelle ist kein Spaß. Ich habe anderes zu tun, muss erstmal mein Schiff aufklaren. Nach den härtesten sieben Meilen meines bisherigen Seglerlebens liegt nichts, aber auch nichts mehr an seinem Platz. Wenn der Ersatzkanister durch die Plicht geschossen kommt, ist eindeutig zuviel Wind. Die Reise begann mit Holländern, und sie endet auch so, ein von Galgenhumor geprägter Abend entschädigt für einige Strapazen.

Der Sturm ist vorbei, unter blauem Himmel weht ein mäßiger West. Gegenan mit Kreuzerei, man kann nicht alles haben. Bevor ich zur Arbeit zurückkehre, gebe ich ein neues Großsegel in Auftrag. Mit Reffreihe.

 

 

 

Autor: Nicolas Thon

Web: www.nicolas-thon.de

 

 

 

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