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Kiel – Oslo – Göteborg, (fast) einhand gesegelt - Fortsetzung

Segelbericht Seite 4

In den Schärengewässern

Der Oslofjord verabschiedete mich mit Kaiserwetter. Ich war relativ früh ausgelaufen und erlebte einen der schönsten Tage meines Seglerlebens. Ich musste kreuzen und zu meiner großen Freude fand ich immer wieder Yachten in der Nähe, an denen ich meine Segelkünste testen konnte. Ich segele mit Windlupe und VMG-Anzeige. VMG (velocity made good) ist die gedachte Geschwindigkeit, die ein unter Maschine genau gegen den Wind laufendes Boot fahren muss, um ebenso schnell zu sein. Die VMG-Anzeige gibt an, ob es günstiger ist, etwas mehr abzufallen und mehr Fahrt zu machen (was meistens schlechter ist) oder lieber größere Höhe bei weniger Geschwindigkeit zu laufen. Richtig genutzt verschafft die VMG-Anzeige in der Kreuz (wie auch auf Vorwindkurs) so entscheidende Vorteile, dass ein vergleichbares Boot ohne VMG nahezu chancenlos wird. Neben VMG muss selbstverständlich die Windgeschwindigkeit im Auge behalten werden, denn sie besitzt natürlich den größten Einfluss auf die Fahrt. Wenn man nach VMG steuert, dient der Steuerkompass dazu, Winddrehungen zu erkennen. Das vierte Instrument, das Lot, stellt die Verbindung zur Navigation her. Zusammen mit dem Log sind also fünf Instrumente gleichzeitig zu beobachten, und das erfordert schon eine gewisse Konzentration. Auch trotz aller technischen Fortschritte in der Navigationstechnik – man muss dort oben verdammt aufpassen und ständig genau wissen, wo sich das Schiff befindet. Ich beobachte zudem Wolken, Wellen und andere Yachten, um die Verhältnisse richtig einschätzen zu können und wenn die Seite in Luv günstiger erscheint, wird sofort gewendet. Im Oslofjord ist zudem andauernd auf die Großschifffahrt zu achten. Ich liebe dieses Segeln als Kombination aus Kopf, Bizeps und Schnelligkeit, obwohl ich nach jeder Wende total erschöpft bin. Wenn es mir dann unter Einsatz aller Möglichkeiten gelingt, ein größeres Schiff auszukreuzen (welches meinen Erfolg vielleicht nicht einmal bemerkt), dann freue ich mich über mein Boot. Hier bin ich wie mein Vater, über den einmal gesagt wurde, er segele gegen alles Regatta, was schwimmt – und sei es ein Stück Holz.

Bald tauchte ich in die wunderbare Schärenwelt ein, die in navigatorischer wie landschaftlicher Hinsicht einen absoluten Höhepunkt darstellt. Sicherlich gibt es weit entfernte Segelgebiete, wie z. B. die Südsee, die Karibik, die Ägäis oder die kroatische Küste, die zu Recht zu den schönsten Revieren der Welt gezählt werden. Mich hat dieser Törn, auf dem ich zum dritten Mal die westschwedischen Schären bereiste, davon überzeugt, dass dieses Fleckchen Erde auch dazu gehört; schöner sind die Gegenden mit den großen Namen nicht, nur anders.

Von Strömstad ging es durch das romantische, zum Teil sehr flache Binnenfahrwasser und den Havstensund nach Grebbestad und dann durch den Hamburgsund nach Smögen. Bei Badehosenwetter erlebte ich Naturschönheiten, die ich mit meinen Worten niemals angemessen beschreiben kann. Lysekil (Stenungssund nun nicht gerade), Mollösund, Marstrand – das alles gehört zum Feinsten, was Schweden zu bieten hat, und das ist wahrlich nicht wenig. Im Logbuch findet sich mehrfach dieselbe Tageszusammenfassung Das war mal wieder der schönste Tag.

In Marstrand stand mir ein schwieriges Hafenmanöver bevor. Bei 5 — 6 Windstärken querein musste ich einen Liegeplatz mit Heckboje anlaufen (ich habe keinen Heckbojen-Patenthaken). Alles ist vorbereitet, die Fender hängen an der Bordwand und die Vorleinen griffbereit am Bugkorb. Natürlich wird jedes einlaufende Schiff beobachtet und so wartet auch hier ein hilfsbereiter Hafenlieger, der sich am anzusteuernden Liegeplatz postiert. Ich laufe also langsam die Heckboje an und ziehe – auf Deck liegend und mit dem Fuß steuernd – meine Achterleine durch das Auge. Die Heckleine in der Hand, die Pinne zwischen den Beinen und den Fuß am Gashebel gehts zum Steg. Sobald der Helfer den Bugkorb bzw. die daran hängende Vorleine ergreift, wird mit Maschine und Heckleine aufgestoppt. Während ich die Heckleine belegt habe, hat der andere Segler bereits die Vorleinen durch Stegringe gezogen, die ich nur noch dankend entgegennehmen muss – ein makelloses Manöver und völlig stressfrei.

Ich bin in der glücklichen Lage, mein liebstes Hobby zu meinem Beruf gemacht zu haben: als Segelbuchautor im Delius Klasing Verlag. So kann ich meine Reisen auch beruflich nutzen. (Das schlechte Gewissen bei einem 6-Wochen-Törn ist nicht ganz so groß.) Nach der letztjährigen Englandreise entstand der Titel UKW-Betriebszeugnis, in den ich zahlreiche neue „Funkerfahrungen“ und Recherchen vor Ort einbringen konnte. Auf dieser Reise beschäftigt mich nun das Thema Skippertraining – Vom Führerscheininhaber zum Schiffsführer.

Immer wieder sammele ich Stichpunkte, ständig beobachte ich Dinge, die für einen angehenden Schiffsführer sicherlich wertvolle Informationen darstellen. Oft denke ich über den offensichtlichen Unterschied zwischen einem in der Regel mit zwei Personen bemannten Eignerschiff und einer voll besetzten Charter- oder Schulungsyacht nach. Wofür braucht ein junger Skipper wirklich eine große Crew und wie sollte er sie dann einsetzen? Ich denke, ich bin bei dieser Reise auf die richtigen Gedanken gekommen.

Auch über das Einhandsegeln konnte ich ausgiebig sinnieren. Einsamkeit war für mich nie ein Thema, im Gegenteil, allein an Bord nimmt man die Zeichen der Natur und des Bootes wesentlich intensiver wahr. Versucht man – im Rahmen der Möglichkeiten eines Fahrtenbootes – optimal zu segeln, so entsteht beinahe ein Zwiegespräch mit dem Schiff; man beobachtet aufmerksamer. Und wer ständig Häfen anläuft, gerät auch nicht in Gefahr zu vereinsamen. Ich habe die Reise glücklich, ohne Schaden oder Havarie beendet, aber seekrank in der Koje liegend habe ich auch meine Grenzen erfahren.

Ich weiß, dass ich einhand wunderbar segeln, aber auch in erhebliche Probleme geraten kann, wenn ein paar Dinge schief laufen und es gleichzeitig zu technischen Schwierigkeiten kommt. Doch das Leben ist bekanntlich nie ganz risikofrei, wodurch es ja so besonders reizvoll werden kann.

Göteborg ist schon der nächste Hafen. Einen Tag zu früh komme ich an, aber den kann ich gut nutzen: für mich heißt dies Rein-Schiff und für meine Frau mache ich mich auf die Suche nach einem erstklassigen Restaurant.

Rolf Dreyer

  

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